Kein Bock mehr auf Lebensgeschichte

Das passiert jedem mal. Die Freundin macht Schluss. Oder ich mache mit der Freundin Schluss. Oder Sie, werte Leserin, verehrtester Leser, machen Schluss. Mit wem auch immer. Denn immer macht irgendwer mit irgendwem Schluss. Statistiker haben ausgerechnet, dass im Schnitt alle drei Sekunden irgendwer mit irgendwem Schluss macht.

Nach diesen Berechnungen ist das Schlussmachen (das Sich-auseinander-gelebt-haben, das "Duuuu, lass uns doch auf die sichere Bank der Freundschaft setzen"-sagen oder das Sich-nach-dreijähriger-Streiterei-in-totaler-Feindschaft-trennen) sogar häufiger der Fall, als dass jemand voller Entzücken und Stolz über eine neue aufregende Eroberung laut "Got her!" oder "Got him!" ruft. Schätzungsweise im Jahr 2117 gibt es demnach überhaupt keine Beziehungen (Ehen, Lebensabschnittsbegleitungen) mehr. Aber das ist noch eine Weile hin. An jenem Tag im 20. Jahrhundert jedenfalls war auch ich ein Fall für die Statistik, denn es war mal wieder aus, Ende, vorbei.

Natürlich war ich traurig. Sogar sehr. Aber vor allem hatte ich die Lust verloren. Die Lust darauf, demnächst wieder ganz von vorne anfangen zu müssen. Wenn Sie nicht zu den wenigen erschreckend glücklichen Ausnahmen zählen, die seit 16 Jahren in die gleiche Frau oder den gleichen Mann verliebt sind, wissen Sie, wovon ich rede.

Ich rede vom Erzählen der Lebensgeschichten: "Sag mir doch mal, wie das damals mit Susanne war?!" "Susanne? Ach, Du meinst Sabine!"

Und ich rede vom Marotten erforschen: "Weißt Du, ich finde, Du könntest Dir vor dem Essen die Hände waschen. Und wo wir schon mal dabei sind: Deine Marmeladenspuren in der Butter finde ich einfach eklig."

Rein statistisch gesehen erzählt man seine Lebensgeschichte im Lauf eines Liebeslebens inzwischen übrigens 28 mal in Langform. Ich hatte darauf wirklich keine Lust mehr. Gar keine. Das dauerte lange, sehr lange.

Also ungefähr drei Tage. Dann hatte ich mir eine neue und fesselnde Version der Geschichte meines durchschnittlichen Lebens zurechtgelegt. Denn ich war plötzlich zu allem fest entschlossen. Mein Herz stand offen wie ein Scheunentor. Ich hatte nämlich überhaupt nicht vor, den Rest meiner Abende und Nächte beim Surfen im Internet allein vor dem Computer zu verbringen und mein Geld für hohe Telefonrechnungen auszugeben. Nein, ich wollte verschwenderisch, generös, galant, kurzum: ein Mann sein und meine künftige Herzdame in dekadent noble Restaurants einladen, ihr unerschwinglich teure Perlenketten kaufen oder immer eine Flasche La Veuve zur Feier unserer künftigen Jahrestage im Kühlschrank stehen haben. Doch wo sollte ich nach ihr suchen? In der Disco? Im Aktzeichnen-Kurs? An der Kasse im Supermarkt? Nein. Diesmal machte ich aus der Not eine Tugend und entdeckte die wichtigste Errungenschaft des Internet: Es ist eine Kontaktbörse.

© Christoph Köster 1999