Kleiner Sender groß am Schrumpfen

Manchmal wird es ihm wohl so vorkommen, als habe er es mit undankbaren Kindern zu tun. Heinz Glässgen, seit Herbst 1999 Intendant von Radio Bremen (RB), rackert und schuftet, plant und spart, aber die 530 Mitarbeiter des kleinsten ARD-Senders sowie Teile des Publikums haben nichts Besseres zu tun, als zu meckern und zu jammern. "Der Heinz, der kann es nicht", sagen sie.

Nicht zu beneiden

Glässgen ist derzeit wirklich nicht zu beneiden. In dieser Woche wollte der Chef endlich einmal positive Schlagzeilen sehen. Doch unmittelbar vor dem Start der neu strukturierten Massenwelle "Bremen eins" kommt Glässgen seine wichtigste Mitarbeiterin abhanden. Die für das Fernseh- und die vier Hörfunkprogramme zuständige Claudia Schreiner warf am Donnerstag das Handtuch. Erst vor siebeneinhalb Monaten war Schreiner vom MDR nach Bremen gekommen. Das Verhältnis zu Glässgen galt schon länger als angespannt. Außerdem hatte sie viele Redakteure durch unliebsame Personal- und Programmentscheidungen gegen sich aufgebracht.

Scheinbar das Gröbste geschafft

Die Krux ist: Radio Bremen muss wegen der Kürzung des ARD-internen Finanzausgleichs drastisch sparen und bis zum Jahr 2006 auf 50 Millionen Mark, mehr als ein Viertel seines Etats, verzichten. Die Bilanz der ersten eineinhalb Jahre unter Glässgens Führung kann sich dabei auf den ersten Blick durchaus sehen lassen. Beim Umbau der vier Radiowellen etwa scheint inzwischen das Gröbste geschafft. Statt eines eigenen Kulturprogramms (Kosten rund 25 Millionen Mark) will der kleinste ARD-Sender zusammen mit dem NDR ein gemeinsames NordWest-Radio ausstrahlen. Kostenpunkt: nur noch zwölf Millionen Mark, zur Hälfte gertragen vom NDR. Das eigene RB-Schlagerprogramm wird künftig durch das WDR-Programm "Funkhaus Europa" ersetzt, dem Radio Bremen schon jetzt zuliefert. Und mit dem Programm "Bremen eins", das im Mai auf Sendung geht, will der Sender Hörer ab 40 zurückgewinnen, die in der Vergangenheit in Scharen zur NDR-Erfolgswelle "Radio Niedersachsen" und zum Bremer Privatsender "Radio Wir von hier" abgewandert sind.

Auf die Großen angewiesen

Erst auf den zweiten Blick werden die Probleme sichtbar. Die großen Sender WDR und NDR, auf die Radio Bremen angewiesen ist, lassen den Zwerg von der Weser gerne etwas zappeln, sagt ein Insider. So musste der Starttermin für das NordWest-Radio schon mehrfach verschoben werden. Auch beim Ausbau der Kooperation im "Funkhaus Europa" hat der WDR im Gegensatz zu Radio Bremen offenbar keine Eile. Zugleich sind Glässgen und Co auch auf einer anderen Baustelle auf die Großen angewiesen. Der Intendant will aus purer Not den Bremer Beitrag zur ARD dem Gebührenaufkommen anpassen und weniger Programm ans Erste liefern. Der Zwerg mit ruhmreicher Vergangenheit ("Beat-Club", "III nach 9", "Rudi-Carrell-Show") beteiligt sich derzeit mit 2,5 Prozent am ARD-Programm, kassiert aber im Stadtstaat Bremen nur 0,8 Prozent der Gebühren. Doch durch eine Reduzierung seines Anteils würde der kleine Sender im ARD-Verbund an Bedeutung verlieren.

Hausgemachte Ursachen

Der Rückzug Radio Bremens hat indes auch hausgemachte Ursachen. Viel zu lange hätten sich viel zu viele in alten Erfolgen gesonnt, sagen langjährige Beobachter und RB-Journalisten. Aus Furcht vor einer Abmahnung will niemand von ihnen beim Namen genannt werden. Freundlich, aber bestimmt und vor allem immer öfter erinnert Glässgen seine Mitarbeiter an ihre Schweigepflicht. Das Wort "Maulkorb-Erlass" macht die Runde. ARD-Vorreiter war der kleine Sender in den letzten Jahren nur noch selten und abseits der großen Öffentlichkeit: bei der Digitalisierung der Technik, bei der Jugendwelle oder beim TV-Regionalmagazin "buten & binnen", das sogar ausgebaut werden soll. Allein: Aus dem ARD-Finanzausgleich sprudeln Jahr für Jahr immer weniger Gelder in die RB-Kassen. Der Spielraum für Programminnovationen wird immer geringer.

Mit Rücktritt gedroht

Im Sender liegen mittlerweile die Nerven blank. Der Personalrat fordert von Glässgen, er solle auch nach 2001 auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. "Ich kriege nicht gleichzeitig Stellenabbau und Zufriedenheit bei den Kollegen hin", sagt Glässgen dazu. Der Intendant selbst hatte vor Ostern in einem Brief an die Direktoren Claudia Schreiner und Heiko Block (Verwaltung) sowie in Gesprächen mit den Vorsitzenden der Rundfunkgremien mit Rücktritt gedroht. Er werde sein Amt, schrieb er, zur Verfügung stellen, bevor sein Ruf in der ARD "ganz ruiniert" sei. Der Sender dementierte die Rücktrittsankündigung später. Die alarmierten Gremienvorsitzenden wollten Glässgens Äußerungen als "Wutschrei" gewertet wissen. Der Rundfunkrat stützte Glässgens Sanierungskurs in dieser Woche auffallend einhellig. Die Kritiker von gestern schweigen und rudern zurück. Denn der Heinz, er muss es einfach können. Schließlich gibt es derzeit auch keinen anderen. (Berliner Zeitung, 21.4.2001)