Die Weltmeister des Selbstlobs

In nackten Zahlen ist das Geschlechterverhältnis im Internet ungerecht. Auf den Seiten mit Kontaktanzeigen inserieren acht- bis zehnmal mehr Männer als Frauen. Damit nicht genug: Frauen sind im Vergleich auch noch regelrecht schreibfaul. Wer als Mann eine mit seriösen Absichten formulierte Kontaktanzeige auf Seiten wie www.date.de oder www.allesliebe.com aufgibt und neben den vor allem über den Server von allesliebe.com verschickten achtzehn Werbemails für Telefonsex-Agenturen und russisch-deutsche Heiratsvermittlungen fünf seriöse Antworten erhält, darf sich schon fast glücklich schätzen. Frauen dagegen dürften mit mindestens 50 Antworten rechnen. Die Obergrenze ist offen und liegt jenseits der 1.000. Mann muss sich also etwas anstrengen, um in der Flut der Antworten aufzufallen.

Aber auch die Anzeige muss auffallen. Wie bei der gedruckten Konkurrenz in Stadtmagazinen oder unter den Selbstlob-WeltmeisterInnen in der Wochenzeitung "Die Zeit" ("Akad., selbstbewusst, attraktiv, in Jeans ebenso sicher wie im Smoking/Abendkleid, aus guter Familie und ansonsten die anzeigenüblichen Attribute") spricht nicht jede Annonce jeden an. Das, umgarnte Leserin, eingewickelter Leser, ist nichts Neues. Doch durch die Internetseiten mit Kontaktanzeigen kann man im Gegensatz zu gedruckten Anzeigen prima scrollen. Mit Maus oder Tastatur sauste ich durch die Annoncen, und das ist eine erheblich sportlichere Tätigkeit als das Überfliegen von Zeitungsseiten. Zumal das Computern auch sämtliche oralen Bedürfnisse weckt. Die Abgeschiedenheit von der realen Außenwelt führt dazu, dass Netizens ständig Zigaretten im Mund haben oder sich Kaltgetränke zuführen. Der lebensverlängernde Netizen-Schnuller mit Himbeergeschmack wäre eine noch zu machende Erfindung. Aber ich schweife ab.

Nach der 15. "Hast Du eine e-m@il für mich"-Überschrift entschied ich mich bei der Anzeigenlektüre für das Zufallsverfahren. Ich überflog die Annoncen von Sabine, Claudia oder Diva in immer schnellerem Tempo und wusste, irgendwann wird mein inzwischen doppelt sehendes Augenpaar schon bei der richtigen hängen bleiben. Ich überlas "Nur Berlin und Umgebung" oder "Schwaben aufgepasst: Schlaflos in Stuttgart". Auch "Wo gibt es sie noch, die richtigen Männer? Vielleicht hier?" weckte kein Interesse.

Ich kann keine generelle Empfehlung für den richtigen Text geben. Aber Katharina schrieb einen. Vielleicht war es nur ein Stichwort. Vielleicht war es auch eines ihrer Hobbies. Vielleicht war es auch die drastische Formulierung "Dumpfbacken zwecklos". Ich fühlte mich jedenfalls herausgefordert, der Puls stieg, die Aufregung wuchs. Ich dachte über eine Pointe nach, machte einen kleinen Witz, wagte eine freche Behauptung und garnierte das Ganze mit einem selbstironischen Schlenker. Nur 60 Minuten später schickte ich eine spontan formulierte, aus vier Sätzen bestehende Mail an Katharina.

Dann begann das Warten auf Antwort. Erst schaute ich nur alle sechs Stunden in der Mailbox nach. Dann verkürzten sich die Intervalle auf drei Stunden. Selbst nachts stand ich auf. Doch es tat sich nichts. Vier Tage und drei Nächte lang. Ich hatte mich wohl überschätzt. Ich wusste noch nicht, mit wie viel Konkurrenz ich es zu tun hatte. Und ich wünschte, jemand hätte den lebensverlängernden Netizen-Schnuller mit Himbeergeschmack schon erfunden. Doch am späten Abend des vierten Tages kam eine Antwort. Katharina hatte angebissen, und ich legte sofort den nächsten Köder. Wird Katharina die Traumfrau sein? Gibt es sie überhaupt? Ich verließ bald die virtuelle Welt und fand mich wieder vor einem Appartementhaus in Hamburg.

© Christoph Köster 1999